In den letzten Monaten haben unsere Augen etwas ungläubig in die französische Hauptstadt geschielt, denn nach exakt 10 Jahren der regelrechten Kurvenschließung im Prinzenpark geht dort wieder mächtig die Post ab. In den Jahren davor zählte die Pariser Fanszene mit den beiden frenetischen Fankurven „Virage Auteuil“ und „Kop of Boulogne“ wohl zu den besten Kurven Europas und auch uns ist beim Heimspiel gegen Saint Etienne im Jahr 2008 mehrfach die Kinnlade runtergeklappt. Doch diese Zeiten sollten schnell ändern, denn hier wurde nicht nur die Repressionsschrauben angezogen, vielmehr war es der Konflikt beider Fankurven, welcher sogar Todesopfer forderte, der Grund für ein hartes Durchgreifen seitens des Vereins und der Politk lieferte, wobei im April 2008 bereits ein erstes Gruppenverbot für die „Boulogne Boys“ vom Innenministerium ausgesprochen wurde, nachdem man beim Gastspiel in Lens ein Spruchband mit der Aufschrift „Pädophile, Arbeitslose und Inzest-Gezeugte – Willkommen bei den Nordfranzosen“ zeigte, was sich auf den gleichnamigen populären Film „Bienvenue chez les Ch’tis“ bezog. In den Folgejahren spitzte sich der Konflikt innerhalb der Pariser Fankurven weiter zu, weil sich die jeweiligen Kurven aus verschiedenen sozialen Schichten zusammensetzten und die konservative, teilweise rechtsextremen Ansichten des KOB bei den, überspitzt gesagt, Jungs aus den Banlieues auf wenig Nährboden stieß. Beim Heimspiel gegen Olympique Marseille eskalierte der Konflikt, als etwa 150 Hooligans aus dem KOB den Eingang der Virage Auteuil stürmten und die daraus resultierenden Ausschreitungen ein Todesopfer forderten. Das Innenministerium sprach in der Folge ein Verbot gegen alle relevanten Pariser Gruppen aus und der Verein entzog sämtlichen Leuten die Dauerkarten. Es gründeten sich in der Folgezeit einige Nachfolger, die seitens des Vereins nicht erwünscht waren, so verkaufte man z.B keine zusammenhängende Dauerkarten mehr, um jegliche Fankultur im Keim zu ersticken. Es gründeten sich zwar verschiedene Gruppen, die allesamt mit den widrigen Umständen zu kämpfen hatte, ehe 2016 mit Gründung des „Collectif Ultra Paris“(CUP) etwas Bewegung in die Sache kam. Unter dem Namen bündeln sich sämtliche Gruppen, die sich nach dem Verbot gründeten und die Gruppe „Ksoce“, die bereits seit 2007 auftritt und sich ursprünglich als Sektion der Supras verstand, allerdings nach den Gruppenverboten davon lossprach und weiter existieren durfte. Die Supras gründeten sich bereits 1991, galten als führende Gruppe der Virage und pflegen bis heute eine Freundschaft zur „Wilden Horde“ aus Köln. Im Oktober 2016 erlaubte PSG die Rückkehr organisierter Fans im Prinzenpark und besonders die Bilder der Auswärtsspiele wirken doch wieder sehr vielversprechend. Für das Spiel in Lille ergatterten wir am Tag des Online Vorverkaufs die letzten Karten und schmiedeten einen Plan mit zwei weiteren Spielen in Belgien, die ziemlich unspektakulär verliefen. Das neue Stadion in Lille wurde zur Europameisterschaft 2016 erbaut und reiht sich in die ewige Liste der sterilen Rotzarenen ein, die in dem Fall für einen Verein wie OSC Lille auch vollkommen überdimensioniert erscheint, wenngleich das Spiel gegen die Elf rund um Neymar und Cavani binnen Minuten ausverkauft war. Die „Virage Est“ und um die führende Gruppe „Dogues Lille 1989“ wirkt bei 50-100 ambitionierten Fans ziemlich verloren und beschallte das restliche Stadion mit einer Soundanlage auf maximaler Lautstärke. Der Frankreich-Klassiker. Im Gästeblock versammelten sich etwa 2500 Pariser, die einen bärenstarken Tag erwischten. Der Pöbel drehte über weite Teile des Spiels richtig am Rad, sprang chaotisch durch die Gegend und steigerte sich förmlich in die Gesänge hinein. Die späte Anstosszeit ermöglichte zwar problemlos 3 Spiele an einem Tag, sollte unsere Nerven allerdings auf dem Rückweg in die Heimat noch arg strapazieren. Wenn man nach einem Spiel um 23:30 ins Auto steigt und 440 Kilometer abzuspulen sind, löst das wahrlich keine Freudensprünge aus, auch wenn uns die Definition davon kurz zuvor im Gästeblock gezeigt wurde. Mit reichlich Energydrinks im Gepäck rollten wir in den frühen Morgenstunden in die Betten. Groundhopping ist der Kampf mit dem eigenen Körper.