04.06.2022 14:00 Uhr
SG Dynamo Schwerin – FC Anker Wismar
Sportplatz Paulshöhe
Nur wenige Stunden nach Abpfiff in Schwerin kursieren bereits schaurige Geschichten über die Hopperkasse auf der Paulshöhe im Netz. Über 200 Groundhopper haben sich in der Futbology App eingecheckt, wobei die Dunkelziffer um ein Vielfaches höher sein wird. Aufgrund der Vorfälle, geriet der eigentliche Anlass der Besucherstroms etwas in den Hintergrund: Das Kult-Stadion Paulshöhe weicht demnächst für Wohnraum und eine Schule. Diverse Petitionen, Demonstrationen, und ein Antrag auf Denkmalschutz seitens der Fangemeinschaft blieben erfolglos. Über ein Jahrzehnt setzten sich Anhänger der SG Dynamo Schwerin für ihre Heimatstätte ein – nun stirbt in Schwerin ein Stück Fußballkultur.
Um 15:53 ertönte der Schlusspfiff des letzten Pflichtspiels auf der Paulshöhe. Die Spieler rissen die Arme in die Luft und sicherten sich mit einem 1:0 Sieg gegen Anker Wismar den Aufstieg in die Oberliga. Gleichzeitig brannten Bengalos auf allen Tribünen, während aus den Stadionboxen „Adieu, Goodbye, Auf Wiedersehen“ von Rammstein schallerte. Einige abreisende Fans blickten sich immer wieder wehmütig um, hielten kurz inne und verabschiedeten sich von einem historischen Ort im Schweriner Stadtbild.
Ende des 18. Jahrhunderts befand sich eine Brauerei auf der Paulshöhe, die den größten Biergarten der Region beherbergte. Der Zulauf war so groß, dass sogar eine Straßenbahnhaltestelle eingerichtet wurde, ehe 1922 das Fußballstadion eröffnete. Die Einweihung fand am 22. August 1922 statt. Zunächst fegte der Schweriner FC dort einige Jahre über den Rasen, ehe die SG Dynamo Schwerin das Stadion Paulshöhe im Jahr 1953 übernahm. Dynamo war damals Dauergast der zweithöchsten DDR-Liga und erfreute sich großer Beliebtheit. Unvergessen bleibt die Pokalsaison in der Saison 1989/90, als die SGD überraschend bis ins Finale marschierte und im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark nur knapp gegen Dynamo Dresden unterlag. Trotz der Niederlage hat sich Dynamo Schwerin für den Europapokal der Pokalsieger qualifiziert und traf im Rostocker Ostseestadion auf Austria Wien.
Fast 2300 Zuschauer in der 6. Liga
Nach der Wende erlebte der Verein einen „osttypischen“ Verlauf voller Abstiege. Namensänderungen und Fusionen. SG Dynamo Schwerin wagte im Jahr 2003 einen kompletten Neustart in der Kreisliga. Die sportlichen Erfolge blieben zunächst aus, bevor fast 20 Jahre später der Aufstieg in der Oberliga glückte.
Fast 2300(!) Zuschauer fanden sich am Wochenende zum Sechstligaspiel ein und verpassten dem Ereignis einen würdigen Rahmen. Zu Beginn läutete der „Donnerberg“ das Spiel mit einer Blockfahne ein und übte im Verlauf des Spiels immer wieder Kritik an den städtischen Entscheidungsträgern. Fantechnisch ist Schwerin eine Hochburg von Hansa Rostock Anhängern, was in der Stadt durch Aufkleber und Graffiti unschwer zu erkennen ist. Eben jene nehmen eine Hintertortribüne in Beschlag und dementsprechend schwanken die Zuschauerzahlen, wenn der FCH zeitgleich spielt. Eben jene haben auch beim neutralen Zuseher für Angst und Schrecken gesorgt, denn die Hopperkasse auf Paulshöhe passt sich offensichtlich der aktuellen Inflationsrate an. Bis zu 20 EUR Gastgebühr verlangte man Groundhoppern ab. Auf der gegenüberliegenden Seite tummeln sich die älteren Semester der Dynamo Fans, die gelegentlich mit Gassenhauern und Schlachtrufen für Stimmung sorgen.
In der kommenden Saison finden die Heimspiele der SGD im Sportpark Lankow statt. Ein steriles Stadion ohne Geschichte, Charme & Flair. Wir wagen es zu bezweifeln, dass der Zuschauerzahl vom letzten Samstag in der nächsten Saison übertroffen wird.
Wir sprechen in unserer neuen Podcastfolge über den Besuch auf der Paulshöhe. Viel Spaß beim Reinhören.