Die Coloniacs haben ein Interview mit uns geführt, welches in der 122. Ausgabe des Spieltagsflyers „Kallendresser Kompakt“ beim Heimspiel gegen Borussia Dortmund veröffentlicht wurde. An dieser Stelle nochmal ein großes Dankeschön und Grüße nach Köln.
Coloniacs: Hallo Jungs! Erstmal vielen Dank, dass ihr euch die Zeit nehmt, und unsere Fragen hier im Kallendresser Kompakt beantwortet. Stellt euch doch mal bitte den Leserinnen und Lesern vor. Wer seid ihr? Wo kommt ihr her? Was sind eure fantechnischen Wurzeln, bzw. wann habt ihr zum Fußball gefunden?
Schlü: Hallo an die lesende und vielleicht bald auch hörende Zunft der Südkurve. Wir sind Tim und Schlü, zwei handelsübliche BVB-Fans, die seit über 15 Jahren gemeinsam unterwegs sind. Unser Werdegang ist vermutlich klassisch für die Ende 80er / Anfang 90er Generation. Du bist Fan einer Mannschaft, gehst irgendwann im Grundschulalter zum ersten Mal mit ins Stadion, bist geflasht, holst dir drei Jan Koller Schals und dann entwickelt sich nach und nach diese Faszination. Ich glaube bei den ersten Spielbesuchen war es das Gesamtpaket Stadionbesuch, was sich eingebrannt hat, während sich der Fokus dann immer mehr auf die Kurven verlagerte. Dann gibt’s mit 14 Jahren die erste Dauerkarte, und kurz darauf steht das erste Auswärtsspiel an. Die Erinnerungen an die ersten Touren sind noch komplett präsent. Ich weiß bis heute haargenau, dass ich 2004 mit einem Sixpack Cab (flavoured with Dragonfruit) nach Wolfsburg gefahren bin. Ist bei dir auch so, Tim?
Tim: Also bei mir war es ein Rosicky-Trikot statt drei Koller-Schals und mein erstes Auswärtsspiel am Bruchweg war zeitlich noch vor der ersten Dauerkarte, aber sonst unterschriebe ich das so. Wobei ich beim Thema „fantechnische Wurzeln“ auch meine ersten Gehversuche beim SV Lippstadt nicht verschweigen möchte. Noch vor dem ersten Besuch im Westfalenstadion wurde ich schon regelmäßig mit zum Stadion am Waldschlösschen genommen und habe meine Jugend somit samstags mit dem BVB und sonntags beim SVL verbracht. Das hat mich auch automatisch in die Richtung Groundhopping getrieben, denn ohne, dass ich diesem Hobby bewusst nachgegangen bin, hatte ich dann ja schnell einige Kreuze durch die Auswärtsfahren mit zwei Vereinen.
Schlü: Diese Groundhopping Geschichte fing bei mir ebenfalls so rund um die Saison 2003/2004 an. Die Zugänge zur Thematik waren damals arg begrenzt. In der Erlebnis Fussball gab es regelmäßig Fotoreihen und Berichte aus Europa und Südamerika. Ältere Szeneleute berichteten ebenfalls regelmäßig von deren Ausflügen abseits der BVB Spiele. Das Ferienticket war damals ideal, um in NRW anzufangen. Als Groundhopper ist man damals, fragt mich nicht warum, immer mit in die Gästeblöcke gepilgert. Ich war z.B. 2004 mit euch in Essen, kannte niemanden, war aber Teil der Menge, als Poldi kurz vor Abpfiff mit einem Doppelpack das Spiel drehte. Sowas fixt richtig an. Ich mag diesen kollektiven Wahnsinn, der rund um den Fußball herrscht. Niemand würde in einer Alltagssituation eine Balustrade hochklettern, um wild gestikulierend zu pöbeln. In der Kurve brechen die Leute aus – in der Kurve wird gelebt. Das verfolge ich als stiller Beobachter unheimlich gerne – mittlerweile auch lieber aus dem neutralen Bereich.
Tim: Witzigerweise habe ich ebenfalls ein FC-Spiel in meiner Liste, dass ich mit meinen Groundhopping-Anfängen verbinde. Müsste 2007 oder 2008 gewesen sein, als ich an nem Freitagabend meinen Vater überredet habe mit mir ins Hermann-Löns-Stadion nach Paderborn zu fahren. Dort haben wir dann nen stimmungsvollen Abend verbracht – im Gästeblock.
Schlü: Im Paderborner Gästeblock fand meine persönliche Bekehrung statt. Ebenfalls an einem Freitagabend gegen Energie Cottbus. Da waren nur ein paar hundert Gäste. Die durchschnittliche Haarlänge pendelte sich im Millimeter-Bereich ein und alle kannten sich. In der Halbzeit haben mich dann zwei Energie Typen angequatscht, die völlig ratlos waren, weil ein 15-jähriger BVB-Fan bei deren Gastspiel in Paderborn allein im Gästeblock steht. Die haben mir dann die Spielregeln erklärt.
Coloniacs: Mit eurem Podcast-Format „DWIDSwoch“ seid ihr bundesweit für interessierte Personen, die sich mit Fußball und Fankultur befassen, allseits bekannt. Erzählt doch mal über eure Beweggründe, einen Podcast zu starten? Wann fing das Ganze an und um welche inhaltlichen Themen geht es in euren Folgen?
Schlü: Da müssen wir die Geschichtsbücher ins Jahr 2019 zurückblättern. Das war zeitlich gefühlt so ein Jahr vor diesem allgemeinen Podcast-Hype. Damals hatte Pini mit „Football was my first love“ bereits regelmäßig Audioinhalte zu verschiedenen fanrelevanten Themen publiziert. Mit der gleichnamigen Podcast-App schaffte er ein Sammelbecken für sämtliche Fußballinhalte. Pini ist ebenfalls BVB-Fan und sprach uns bei irgendeinem Spiel an. Ich hatte zwar schon etwas Podcast-Erfahrung, aber ein eigenes Format konnte ich mir nicht so richtig vorstellen.
Tim: Vor allem hatten wir auch nicht wirklich die Überzeugung, dass sich jemand unser belangloses Gelaber anhören wollen wird. Also angefangen sind wir dann, mehr oder weniger, um Pini einen Gefallen zu tun und seine neue Plattform mit etwas Leben zu füllen. Aber wenn man heute mit rund 4 Jahren „Podcast-Erfahrung“ zurückblickt, dann war das auch Quatsch. Wir haben einfach die Mikros angeschmissen und ohne wirkliche Idee drauflosgeredet…
Schlü: Mittlerweile hat jede Folge einen roten Faden. Wir starten mit einem kurzen Smalltalk, der allerhand Alltagsblödsinn beinhaltet, gehen kurz in die Rückmeldungen zur letzten Sendung und widmen uns anschließend den aktuellen Themen aus dem In- und Ausland. Wir sprechen über mafiöse Strukturen in Serbiens Fankurven, analysieren fragwürdige Vereinskonstrukte und ordnen die aktuellen Aktionen der Fankurven ein. Abschließend erzählen wir von unserem letzten Spielbesuch, was gleichzeitig bedeutet, dass nahezu jede Woche Fußball geschaut wird. Im Kern möchten wir unserer Hörerschaft eine unterhaltsame Stunde Fan- und Fußballcontent bieten und nehmen die positiven Effekte gerne mit. Wir haben etwa 3-4.000 Hörer im Alter von 17-22 Jahren und ich bin mir ganz sicher, dass wir gerade bei jüngeren Hörern, das Bewusstsein für unsere facettenreiche Fankultur schärfen. Der Zugang zur Fankultur hat sich durch Social Media stark verändert und wird in meiner Wahrnehmung aktuell von Telegramm Gruppen geprägt, wo es eben vorwiegend um Gewalt geht. Ich guck mir das ehrlich gesagt auch mit Begeisterung an, wenn sich Zilina und Slovan Bratislava und der slowakischen Tatra die Schnauze einkloppen, aber es gibt eben nicht nur dieses eine Thema.
Tim: Und wir haben im Laufe der Zeit auch gelernt, dass es gar nicht so sehr darauf ankommt, was in der einzelnen Folge für Themen besprochen werden. Wir sind einigermaßen auf der Höhe, was aktuelle fanpolitisch relevante Themen angeht und können es uns daher erlauben auch mal völlig abzudriften. Das hat wohl dazu geführt, dass der Podcast nicht nur Groundhopper und Fans angezogen hat, sondern wir immer wieder auch von Hörern bzw. Hörerinnen hören, die überhaupt keinen Fussballbezug haben.
Coloniacs: Podcasts mit Fußballbezug sind gerade seit der Corona-Pandemie wie Pilze aus den Boden geschossen. Was sind aus eurer Sicht die Vor- und Nachteile eines Podcasts gegenüber einer Publikation in Printformat?
Tim: Also wenn wir jetzt von Printmedien wie Fanzines reden, dann ist der größte Vorteil vermutlich die Aktualität. Ein Podcast benötigt keine Druckvorstufe oder eine Mindestauflage und erst recht keinen Kiosk oder ne Bahnhofsbücherei. Wir können uns 2 Stunden hinsetzen, quatschen ein bisschen und wenn wir nicht so einen großen Qualitätsanspruch an uns selbst hätten, wäre das Ding drei Stunden später für jeden online abrufbar. Mit der Aktualität stirbt gleichzeitig die Langlebigkeit. Das ist dann halt eben der Nachteil. Rein inhaltlich ist dein Podcast, der sich mit dem Geschehen vom Wochenende beschäftigt nach spätestens 2/3 Wochen irrelevant.
Schlü: Ich habe mit mehreren Freunden jahrelang ein BVB und Groundhopping Fanzine auf den Markt gebracht und wir hatten irgendwann ebenfalls dieses „Problem“ mit der Aktualität. In den Sozialen Medien keimten immer mehr Portale auf, die direkt über alles berichteten. Du warst quasi noch im Stadion und bei Facebook gab es schon ganze Fotoreihen. Wenn dein Bericht vom Spielbesuch dann erst ein Jahr später erscheint, ist bereits alles gesehen und erzählt worden. Da brauchst du schon richtig gute Infos und Skills, um daraus noch einen interessanten Text entstehen zu lassen. Die Welt ist schnelllebiger geworden und ich möchte mich diesen Entwicklungen auch gar nicht verwehren. Ich will nicht der Typ sein, der sich heutzutage noch seine Kontoauszüge bei der Bank zieht, seine Infos aus dem Videotext holt und 512 MB Datenvolumen im Monat hat. Das ist die Vorstufe zum Nerd, der irgendwann seiner Zeit hinterhertrauert, ohne dabei zu merken, wie unpraktisch und scheiße manche Dinge auch einfach waren. Im Podcast können wir die aktuellen Themen abdecken und die Konsummöglichkeiten sind deutlich einfacher als beim Fanzine.
Coloniacs: „Podcast vs. Fanzine“ – Müssen sich die beiden Medien überhaupt gegenseitig ausspielen oder können die sich nicht sogar noch gut ergänzen?
Tim: Ich weiß nicht, wie die Wahrnehmung langjähriger Fanzine-Schreiberlinge ist, aber das Gefühl, dass es dort zu einem Kräftemessen der Plattformen kommt, hatte ich noch nie. Allein, weil Fans immer auch Sammler sind und was Haptisches in der Hand haben wollen, wird das Fanzine nie in Konkurrenz stehen. Ein Fanzine ist immer auch die Sammlung von Geschichten und Erinnerungen und somit ein Nachschlagewerk. Der Podcast ist eher eine Mischung aus Unterhaltung und Nachrichtensendung.
Schlü: Ja, da gehe ich mit. Ich picke mir oft mal irgendwelche alten Hefte aus dem Schrank, um einfach ein bisschen rumzublättern. Da findet man witzige Textpassagen, die schlecht gealtert sind. Gleichzeitig bekommst du ein Bewusstsein für die Entwicklung mancher Fanszenen. Letztens habe ich in der Blickfang Ost von 2004 noch alte Berichte der Blue Generation aus Magdeburg gelesen. Die hatten bei Heimspielen 3-4.000 Zuschauer und auswärts einen 300er Haufen. Jetzt fahren die mit über 10.000 Leuten nach Hannover. Den Bericht davon gibt es bei uns im Podcast in Folge 77.
Coloniacs: In eurem Podcast geht es viel um Groundhopping. Hopper werden auch gerne mal von aktiven deutschen Fanszenen kritisch gesehen. Es mag ja sogar Fanszenen geben, die auf „Hopperjagd“ gehen, oder wo fremde Groundhopper gerne mal in die sogenannte „Hopperkasse“ einzahlen dürfen. Könnt ihr die teilweise kritische Haltung einiger Fanszenen verstehen, gerade vielleicht was die Erwartungshaltung (in Spielberichten) von Hoppern angeht? Und ab wann ist man aus eurer Sicht ein Groundhopper?
Schlü: Wir haben von diesen Horrorszenarien gelesen, waren aber bisher noch nie so richtig betroffen. Wenn du im Ausland als Groundhopper enttarnt wirst, verläuft das in der Regel sehr positiv. Die Italiener sind sehr herzlich, haben allerdings meistens Verständigungsprobleme, die Polen sprechen mit sonem Bösewicht-Akzent und verstehen nicht so richtig, warum man jetzt extra aus Deutschland zu Chelmianka Chelm fährt und in Nordafrika bist du ein gefeierter Held. In Deutschland weht da ein etwas anderer Wind. Groundhopper werden häufig mit Argwohn betrachtet und erfreuen sich keiner großen Beliebtheit. Die genauen Gründe liegen mir da gar nicht vor. Vermutlich geht es da ums Auftreten als Personenmob oder um die Nachberichterstattung, wo man Urteile über ganze Kurven fällt, die man nach einem Besuch überhaupt nicht bewerten kann. Einige Fanszenen schauen am Eingang etwas genauer auf die Stadionbesucher und lassen die Groundhopper ein paar Taler extra für die Kurvenshow bezahlen. Wahlweise wird man auch einfach auch unsanft wieder nach Hause geschickt.
Ich glaube unsere Meinung zu der Thematik ist jetzt nicht repräsentativ für den Großteil der Hopperschaft, aber wer sich als Voyeur ins fremde Schlafzimmer schleicht, muss eben auch mit etwaigen Konsequenzen der erbosten Ehemänner rechnen. Ich kann nicht die Anarchie der Fankurven feiern, aber dann Rumheulen, wenn sie mich mal selbst betrifft. Richtig Jagd auf Hopper zu machen finde ich auch bescheuert, aber wenn man raus- oder zur Kasse gebeten wird, dann ist das halt eben so. Wie gesagt, da gibt es sicher unterschiedliche Meinungen und das ist auch völlig okay.
Coloniacs: Leute, die jetzt keinen Peil haben, noch nicht so viele – oder gar keine – Länderpunkte haben, aber als Beispiel durch euren Podcast angefixt sind. Habt ihr für diese Personen eine Empfehlung, wo man sich auf dem Kontinent, oder darüber hinaus, gute Eindrücke holen kann? Was ist aus eurer Sicht besonders empfehlenswert oder geht immer? Wo wurdet ihr am krassesten (positiv) überrascht? Was fehlt euch noch bzw. wollt ihr unbedingt noch sehen?
Schlü: Wer jetzt noch gar keine Groundhopping-Erfahrung hat, sollte erstmal direkt die Erwartungshaltung runterschrauben. Videozusammenschnitte beinhalten immer die besten Sequenzen – das werdet ihr schnell merken. Durch YouTube und das ganze Gedöns entwickelt man da schnell eine Illusion, die sich fernab jeglicher Realität bewegt. Das sollte man auf dem Schirm haben und sich vielmehr auf das Gesamterlebnis zu fokussieren. In Saarbrücken sitzen auf der Gegengerade nur Asis – genießt auch sowas einfach mal. Wir sind früher gut damit gefahren uns langsam ranzutasten und den Radius schrittweise zu erhöhen. Ich persönlich bin am liebsten in Italien unterwegs. Gute Kurven gepaart mit diesem typisch italienischen Dilettantismus, wenn es um Organisation und Planung geht – das holt mich richtig ab. Ansonsten gehen Zürich und Basel immer. Das wie Pommes Mayo, das kann man sich jederzeit reinpfeiffen und es kann eigentlich gar nicht komplett schlecht sein. Also was die beiden Fanszenen veranstalten, ist schon beeindruckend.
Am krassesten überrascht wurde ich bisher immer dann, wenn ich mir im Vorfeld keine Videos angeschaut habe. Wir waren vor 10 Jahren in Marokko beim Auswärtsspiel von Raja in Safi. Wir hatten Raja natürlich auf dem Schirm und wollten dieses Spektakel unbedingt mal Live sehen. Plötzlich gab es da eine Heimkurve, wo einfach locker 3.000 Verrückte komplett durchgedreht sind. Noch weniger Ahnung hatten wir vor über 15 Jahren von PSG. Wir kannten zwar die Fotos aus der Erlebnis Fussball und hatten die Freundschaft zwischen Paris und Köln auf dem Schirm, aber was wir dort erlebt haben, war so ziemlich die krasseste Reizüberflutung. Zwei Heimkurven hatten wir weder erwartet noch je zuvor gesehen. Die lieferten dann auch beide richtig ab inklusive St Etienne im Gästeblock. Also das war schon wild.
Tim: Also der wichtigste Punkt, den Schlü hier gerade genannt hat, ist fast etwas untergegangen. Es ist schon sinnvoll den zweiten Groundhopping-Schritt nach dem ersten zu gehen. Jemand, der bislang noch nie groß auf Reisen war, sollte erstmal schauen, ob er es reibungslos hinbekommt ohne Clubcard bei Ajax reinzukommen, bevor es zum Auswärtsspiel von Wydad nach Nordafrika geht. Also es bringt nichts 150 Folgen Dwids zu hören, wenn man nie selber loszieht, um seine Erfahrungen zu machen. Daher kommt vermutlich auch das Motto „Hoppen muss weh tun.“ Und natürlich von der Hopperkasse…
Ansonsten muss man für sich rausfinden in welcher Form man überhaupt Bock aufs Groundhopping hat. Will man möglichst viele Stadien machen, den Länderpunktzähler hochtreiben oder einfach andere Kurven sehen und Eindrücke sammeln?
Coloniacs: Bekommt ihr auch Feedback innerhalb der „eigenen“ Groundhopping-Community? Personen die es kritisch sehen oder abfeiern? Habt ihr da Einblicke?
Schlü: Unsere Community ist unschlagbar. Anfangs hatten wir uns irgendwo zwischen 50-100 Hörern eingependelt und mittlerweile sind es in der Spitze über 20.000 Streams pro Folge. Wir werden dementsprechend mit Rückmeldungen zugeschüttet, die aber egal in welche Richtung fast immer respektvoll sind. Letztens sind die Leute etwas auf die Barrikaden gegangen, weil Tim einfach Kazuyoshi Funaki nicht kannte. Der Mann hat 1998 einfach 5x die 20,0 in Nagano bekommen. Er kannte ihn nicht! Walter Hofer hätte die Hände überm Kopf zusammengeschlagen.
Tim: Es sind genau Themen wie diese, die unser Postfach dann zum Glühen bringt. Also wir können 50 Minuten die Fan- und Fußballthemen der Woche zerreden, aber wenn es dann im Smalltalk darum geht, zu welcher Uhrzeit man zum Friseur geht oder welche Frittensaucen in Belgien am besten sind, geht’s richtig rund. Das ist für uns halt dann auch immer ein Beweis dafür, dass die Leute es mögen uns beim Blödsinn reden zuzuhören und das ist ja eine krasse Sympathiebekundung. Wir haben ja im Grunde keinerlei Anspruch an uns selbst. Wir bemühen uns immer alles neutral zu beurteilen, aber wir müssen es nicht. Es gibt keinen Anspruch auf inhaltliche Richtigkeit, Vollständigkeit oder journalistische Neutralität. Das hört man relativ schnell raus glaube ich. Eine große Angriffsfläche für Kritik bieten wir daher gar nicht so, denn wer unser Format scheiße finde, macht es eben aus.
Schlü: Klar, es gibt dann auch sicher Groundhopper, die uns nicht als richtige Groundhopper ansehen oder andere Podcasts besser finden, weil die thematisch nochmal anders aufgestellt sind. Das ist auch alles völlig in Ordnung. Ich habe auch immer Richterin Barbara Salesch geguckt und dann bei Alexander Hold abgeschaltet.
Coloniacs: Mit 123 Folgen habt ihr auf eurem Format schon einiges auf dem Kasten. Im Prinzip sind es ja sogar 99 Folgen mehr, da es noch das alte Format „Der Weg ist das Spiel“ gibt. In unseren Reihen ist die Folge aus dem alten Format mit Herr Semic sehr beliebt, wo es neben dem Besuch in Bosnien kurz vorher auch noch um einen Besuch im Parc des Princes geht gegen ASSE Ende der 00er-Jahre, oder der Besuch bei CS Lebowski kurz vor der Pandemie. Gibt es aus eurer Sicht eigene „Lieblings-Folgen“ oder welche mit Anekdoten, die man gehört haben muss?
Schlü: Von unserem ersten Format sind wir gar nicht mehr so richtig überzeugt. Das war allein tontechnisch eine absolute Katastrophe. Rhetorisch bewegen wir uns da auch noch auf einem anderen Level. Man muss Podcasting auch ein stückweit lernen, daher würden wir da jetzt keine explizite Empfehlung für das Erstformat aussprechen. Ganz hoch im Kurs ist die 112. DWIDSwoch Folge, denn dort berichten wir vorwiegend über einen grandiosen Europapokaltag mit dem BVB in Newcastle. Dazu muss man wissen, dass wir nur ganz selten über die Spielbesuche unseres eigenen Vereins sprechen, weil wir nicht wie ein Sprachrohr der Fanszene wirken möchten. Das steht uns nicht zu und es ist auch wunderschön noch Dinge für sich selbst zu machen, die nichts mit dem Podcast zu tun. In Newcastle ging es auf mehreren Ebenen richtig zur Sache und plötzlich fragten uns einige Leute, ob wir diesen Europapokaltag nicht auch im Podcast etwas größer ausschlachten könnten. Das haben wir getan und der Folgentitel „England ist n Zoo“ passt weiterhin wie Arsch auf Eimer. Für viele Mitreisende ist diese Episode nun eine archivierte Erinnerung, die jederzeit abrufbar ist, aber auch für Leute, die nicht mit vor Ort waren, sollte allerhand Unterhaltung geboten sein.
Tim: Ich würde jetzt auch die erste Staffel etwas ausklammern, auch wenn da rein inhaltlich super Touren und damit bestimmt auch witzige Folgen dabei waren. Also Herr Semic war beispielsweise wirklich hervorragend. Da hat aber auch gezeigt, dass es gerade die Touren sind, bei denen etwas schief geht, die dann im Nachgang zu sehr lustigen Folgen werden. Meine Lieblingsfolge ist die 039 „Stabile Accratruppe“. Wir waren im Rahmen eines Testspiels der BVB-Traditionsmannschaft für eine Woche in Ghana, es ist recht viel schiefgelaufen, aber wenn man ne ganze Woche mit Freunden in nem fremden Land unterwegs ist, hat man ja einfach immer ne gute Zeit. In dem Fall haben wir aber echt alles erlebt. Autopannen, korrupte Cops an und irgendwie landeten wir auf einer Privatparty von Adebayor, wo fleißig mit Sammy Kuffour gekifft wurde, ehe uns eine Motorradgang notgedrungen zum Flughafen kutschierte.
Schlü: Die Folge #111 dürfte für euch noch ganz interessant sein, denn da ging es für mich zum Derby ins Müngersdorfer Stadion. Ansonsten war in Folge #101 mit dem Spielbesuch bei Lok Leipzig gegen Eintracht Frankfurt auch jede Menge los.
Tim: Und wer uns gar nicht kennt aber nicht bei 1 anfangen will. Vor ein paar Wochen haben wir eine zweistündige Q&A-Folge gemacht, wo wir die Fragen der Hörerschaft beantworten. Müsste die #120 sein.
Coloniacs: Ihr erwähnt in eurem Format, dass ihr das alles neben euren normalen Verpflichtungen im Alltag (Job, Familie, eigener Verein etc.) macht. Sowohl Groundhopping – als auch eurer Format – ist entsprechend zeitintensiv in den jeweiligen Vorbereitungen. Am Ende des Tages lebt euer Format ja auch von Spielbesuchen. Wie lange sitzt ihr im Durchschnitt, neben der eigentlichen Zeit, an einer Folge? Wie bekommt ihr das alles unter einen Hut?
Schlü: Wir haben den Aufwand, der hinter einem Podcast steckt, komplett unterschätzt. Das frisst Woche für Woche richtig viele Stunden. Aber wann ist Arbeit eigentlich Arbeit? In meinem Kopf ist Arbeit etwas ganz Fürchterliches. Ein Ort, den man tunlichst meiden möchte. Das fängt schon an, wenn man Arbeitskollegen in der Bahn trifft und nur noch auf den Boden starrt, um bloß nicht in belanglosen Smalltalk verwickelt zu werden. Ja, bei uns gab es auch Raclette. Ja, zu viele Böller. Ja, die Syrer wieder. Im Büro warten dann die immer gleichen Aufgaben, während sich die Stunden in die Länge ziehen. Im Kopf geht man bereits die sinnvollste Taktung der nächsten Krankenscheine durch. Bei der Podcastproduktion sprechen wir daher selten von Arbeit. Da bockt einfach jede Minute, die man mit der Thematik verbringt. In eine DWIDS-Folge stecke ich wöchentlich so um die 20-25 Stunden Arbeit, die sich nicht wie die eben genannte Arbeit anfühlen. Wir verfolgen die komplette Woche aufmerksam die Fußballthemen, recherchieren uns in Themen rein, schreiben einen Redaktionsplan, setzen uns vor die Mikros und stecken viel Zeit in die Nachbearbeitung. Die Folge benötigt dann noch die entsprechende Aufmerksamkeit, um gefunden zu werden. Da werden dann die Sozialen Medien mit entsprechenden Fotos und Videos gefüttert, was sich ebenso zeitintensiv gestaltet.
Dann steht meistens im Hintergrund noch etwas Arbeit an. Wir laufen jeden Mittwoch zunächst exklusiv in der „Football was my first love“ App, ehe die Folge am Donnerstag auf Spotify und allen anderen Plattformen streambar ist. Wir bekommen für diesen Exklusivtag eine kleine Aufwandsentschädigung. Außerdem haben wir einen Affiliate-Link bei Booking.com – heißt, wenn Hotels über unseren Link gebucht werden, bekommen wir eine Provision ohne, dass der Buchende einen finanziellen Nachteil hat. Wir versuchen uns die Zeit irgendwie zu finanzieren, was aktuell halbgut klappt, aber es kommt zumindest was rein. Dahinter steht ein entsprechender Verwaltungsaufwand. Wir haben eine Firma gegründet und versuchen uns möglichst jede Scheiße selbst beizubringen, um unabhängig zu sein.
Tim: Mein Zeitaufwand ist unter der Woche etwas geringer. Dies versuche ich dann mit den grafischen Arbeiten oder auch mit den Spielbesuchen auszugleichen. Das klingt etwas doof, aber der Podcast hat schon auch dazu geführt, dass man nicht mehr nur Spiele guckt, auf die man unbedingt Bock hat. Wir gucken nun schon vor einem Wochenende auf den Spielplan und überlegen, ob irgendwo gerade ein interessantes Thema vorherrscht, was wir dann durch nen Spielbesuch etwas beäugen und anschließend besprechen können. Und da ist es natürlich ganz klar, dass die deutschsprachige Podcast-Community eher daran interessiert ist, was in Hannover, München oder Saarbrücken los ist, als die aktuelle Problemlage beim FK Željezničar. Auch wenn ich mir das Sarajevo-Derby vielleicht lieber angeguckt hätte.
Coloniacs: In Köln gab es Ende der 00er-Jahre von der Jungen Horde ein Podcast-Format „Kölsche Tön – Ultrà auf die Ohren“. Von uns gibt es seit 2020 den „Kallendresser Podcast“. Habt ihr, neben eurem eigenem Format, Hörempfehlungen in Sachen Fußballpodcasts?
Ja klar, denn wir betreiben auch noch ein weiteres Format – „AufRuR“ Auf Rasen und Rängen ist unsere Spieltagsvorschau, die jeden Freitag bei Spotify läuft. In 20-25 Minuten blicken wir auf den anstehenden Spieltag und sprechen über etwaige Brisanzduelle, angekündigte Kurvenaktionen und gehen auch kurz auf die aktuelle sportliche Situation ein.
Coloniacs: Vielen Dank für das Interview und die Einblicke! Die letzten Worte gehören euch:
Tim: Deckel drauf!
Schlü: Ciao.